Jenseits von Gut und Böse: Was ist edel? Aufsatz

Words: 1139
Topic: Philosophie

Die wichtigsten Merkmale des ‘Edlen Mannes’

Nietzsche entlarvt den mangelhaften Zustand der moralischen Vernunft des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts und hebt das herausfordernde, aber einfache Rezept hervor, das darin besteht, das unveränderte Naturgesetz über die Ordnung der menschlichen Existenz anzunehmen – als die einzige glaubwürdige Lösung, die den Menschen wieder zur Selbstfindung und zur Verwirklichung des ursprünglichen moralischen Ausdruckskodexes führen kann (Nietzsche, 2004, S. 219).

Seit Anbeginn der Zeit war es das Anliegen unserer aristokratischen Gesellschaft, die verschiedenen Perspektiven der Erhöhung des “Menschen” zu entdecken und zu definieren, ohne dass wir wussten, dass unsere Gesellschaft in dem Bestreben, den menschlichen Wert zu definieren, in verschiedene “soziale Statuskokons” geschichtet ist (Nietzsche, 2004, S. 212). Diese sozialen Kokons, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden und derzeit noch vorherrschen, verderben die menschliche Gesellschaft mit moralischer Dekadenz wie Unterdrückung, Sklaverei, Korruption und der eitlen Umarmung der Eitelkeit.

Die moralische Dekadenz der Gesellschaft zeigt sich am besten in der uninformierten Selbstrechtfertigung, der Selbstgerechtigkeit, dem glühenden Wunsch nach Selbstverwirklichung und Selbstverwirklichung, dem Drang nach Anerkennung und dem Verlangen nach Macht – ja sogar dem ernsthaften Wunsch, die Macht zu behalten (Nietzsche, 2004, S. 212) Der einstmals edle Mensch ist also persönlich und gesellschaftlich so weit verkommen, dass er sich schwachen und armseligen moralischen Rechtfertigungsnormen unterwirft.

Die Aristokratie hat uns Aufzeichnungen über die immerwährenden und vorherrschenden Korruptionstendenzen hinterlassen, doch der Aristokrat hat sein königliches Vorrecht aufgegeben und sich zu bloßen Loyalitätsfunktionen herabgelassen (Nietzsche, 2004, S. 213).

Dies hat den Weg für die populären Grundprinzipien der Welt geebnet, die sich durchsetzen und den Menschen dazu indoktrinieren, blindlings die Bestrebungen der Menschen nachzuahmen, um keine Vorwürfe, Ablehnung oder Ausbeutung zu erleiden – bis hin zu der eiternden und unheilbaren Wunde, den eigenen Willen zu opfern: Selbstverleugnung. Um diesen starken Wahnvorstellungen zu entkommen, analysiert der edle Mensch kritisch ihre Grundlagen und widersteht allen Schlupflöchern, die die Autonomie des Menschen unterdrücken (Nietzsche, 2004, S. 213).

Die vorherrschende Vielfalt der Moralvorstellungen kann in zwei verschiedene Formen unterteilt werden: die Herrenmoral und die Sklavenmoral, je nachdem, wer die gesellschaftlichen Moralvorstellungen formuliert (Nietzsche, 2004, S. 214). Erstere geht von der herrschenden Kaste aus, die sich gerne die Überlegenheit über die Beherrschten anmaßt, letztere von den unterdrückten Bauern.

Die Auffassung der Herrenmoral vom “Guten” bezieht sich auf den sozialen Status (Rangordnung), ist erhaben, stellt sich zur Schau und ist von stolzer Gesinnung. Der Edle hingegen sieht sich als Gestalter der moralischen Werte, er sucht kein menschliches Lob, sondern trifft rationale moralische Entscheidungen nach Prüfung aller Parameter (Nietzsche, 2004, S. 214).

Im Grunde ist er nicht nur sich selbst gegenüber treu und gütig, sondern auch gegenüber seinen Mitmenschen. Er ist großzügig gegenüber den Bedürftigen und unterlässt jene moralischen Handlungen, die für ihn selbst anstößig sind; denn indem er dies tut, erklärt er auf die eine oder andere Weise die Handlung an sich als anstößig für die gesamte Menschheit und leitet und schützt so die Menschheit vor Übel (Nietzsche 2004, S. 214).

Das “Überleben des Stärkeren” hat die aristokratische Gemeinschaft in allen menschlichen Kontexten charakterisiert, z. B. das aristokratische Gemeinwesen von Venedig mit Männern, die um jeden Preis auf Machterhalt bedacht sind, mit großem Kampf um Ressourcen – die Männer versuchen, ihre Art durchzusetzen, um nicht ausgerottet zu werden (Nietzsche, 2004, S. 215). Doch der edle Mensch verhält sich sicher, gutmütig, ist etwas dumm und neigt zur Täuschung. Er trägt die ganze Schuld an der Sklavenmoral, denn er steht an der Schwelle, seiner autonomen Rechte beraubt zu werden.

Universelle moralische Tendenzen sind bereichsübergreifend und müssen für alle menschlichen Gesellschaftsschichten leicht zugänglich sein, z.B. sind der fundamentale Wunsch nach Freiheit, der Instinkt nach Glück und die autonome Freiheit ebenso ein Recht für die Sklavenmoral wie für die Wertschätzung der aristokratischen Gesellschaft (Nietzsche, 2004, S. 215).

Die Eitelkeit ist wohl eines der komplexesten und am schwierigsten zu verstehenden Dinge für den edlen Menschen; es verblüfft den Verstand des edlen Menschen, wie die Eitelkeit ihre authentische Anwendbarkeit im sozialen und moralischen Umfeld der menschlichen Gemeinschaft findet (Nietzsche, 2004, S. 216). Man würde sie bereitwillig leugnen, selbst wenn man ihr anhängt und sie hochhält, wenn man sie durch neugierige Befragung untersucht.

Auch wenn man das Konzept der Eitelkeit im menschlichen Umfeld gutheißt, so besteht doch die große Gefahr, dass man sich in Bezug auf die eigenen Werte irrt, während man gleichzeitig nach einer angemessenen Anerkennung durch die Menschen sucht, die auf der genauen Einschätzung des eigenen Wertes beruht (Nietzsche, 2004, S. 217).

Andernfalls würde sich der edle Mensch in kompromittierenden Situationen wiederfinden, in denen er gezwungen wäre, mit den Ideen anderer Leute übereinzustimmen, die im Mittelpunkt seiner Überzeugungen stehen. Daher sollte der Adlige unbedingt verstehen, dass der einfache Mensch von alters her das war, wofür er sich ausgab. Dies würde ihm die Kühnheit, den Mut und die Autonomie geben, seine Überzeugungen durchzusetzen und zu verteidigen (Nietzsche, 2004, S. 217).

Der menschliche Instinkt für den Rang steht über dem wahren Abbild eines höheren Ranges, dem alle Verehrung gebührend und gerne zukommen sollte. Es ist also im Sinne des Seelenprüfers, mit dem edlen Ziel, den letzten Wert einer Seele festzustellen, gelegentlich Dinge auftreten zu lassen, die nicht vom höchsten Rang sind und den unveränderlichen Rang der Seele verfeinern (Nietzsche, 2004, S. 218).

Denn so sicher, wie die höchste Ordnung existiert, so würde auch jeder Gegenstand der Verunreinigung vertrieben werden, wenn die Seele dem nachgibt, was aller Achtung würdig ist. Entgegen der gefühlten Vorstellung, dass man nichts berühren dürfe, dass es heilige Erfahrungen gebe, vor denen man die Schuhe ausziehen und die unreine Hand fernhalten müsse, erkennt der Edle seine königliche Rangstellung an und geht direkt in die Ordnung des höchsten Ranges (Nietzsche, 2004, S. 218).

Die sittliche Verfassung in der Seele eines jeden Kindes unterliegt der seiner Vorfahren und lässt sich nicht leicht auslöschen, auch jetzt nicht, so zieht ein Kind die hartnäckigen Plebejer aller Zeiten; mannigfaltige beleidigende Unreinheiten, schäbige Neider und plumpe Selbstvorwürfe von seinen Vorfahren so sicher wie schlechtes Blut (Nietzsche, 2004, S. 218).

Der Adlige ist egoistisch, er gehört zum Wesen der “hohen Adligen”, denen sich die anderen Wesen natürlich unterordnen müssen. Aufgrund der wahren Gerechtigkeit nimmt der Edle die unabänderliche Tatsache seines Egoismus ohne Vorbehalte hin, denn sie ist eine wahre Bestätigung der Naturgesetze (Nietzsche, 2004, S. 219).

Auch der Edle erkennt und schätzt die Tatsache, dass es andere gibt, die ebenso begünstigt sind wie er, und befreit sich dadurch, dass er seinen Platz im Genuss der natürlichen Gaben mit anderen “Hochadeligen” einnimmt. Er ehrt sich selbst in anderen Menschen, indem er großzügig gibt und teilt, wie es ihm das natürliche Gesetz der Gegenleistung gebietet, denn auch das Gesetz ist in ihm selbst (Nietzsche, 2004, S. 220).

Der Edle ist erhaben, aber er achtet es nicht. Er wird gedemütigt und erniedrigt, aber er weiß unbeirrt, dass er an der Spitze steht (Nietzsche, 2004, S. 220).

Zitierte Werke

Nietzsche Friedrich. Jenseits von Gut und Böse. New York. Barnes & Noble, 2004. Drucken.