Business Roundtable zur Corporate Governance in den Jahren 1997 und 2019 Term Paper

Words: 1877
Topic: Geschäftlich

BRT-Aussagen aus der normativen Perspektive

Die Erklärung des Business Roundtable (BRT) von 1997 zur Corporate Governance kann als Fallstudie für die Aktionärstheorie dienen. Darin wird betont, dass das vorrangige Ziel eines Unternehmens die Steigerung seines Marktwerts ist, weshalb seine wichtigste soziale Verpflichtung darin besteht, “auf Situationen, die sich direkt auf den Wert der Aktionäre auswirken können”, umgehend zu reagieren (Business Roundtable [BRT], 1997, 1). Diese Sichtweise steht in vollem Einklang mit den Grundgedanken der normativen Aktionärstheorie, wie sie von Hasnas definiert wurde – dass Manager “Agenten für die Aktionäre” sind und ihre soziale Verantwortung allein den Aktionären gegenüber besteht (1998, 21).

In der Erklärung von 1997 wird nicht näher auf mögliche Kollisionen zwischen ethischen Verpflichtungen gegenüber Stakeholdern und ethischen Grundsätzen der Gesellschaft eingegangen. Das Dokument enthält lediglich Binsenweisheiten wie “Es liegt im langfristigen Interesse der Aktionäre, dass ein Unternehmen seine Mitarbeiter gut behandelt” (BRT, 1997, 3). Während also die ethische Verpflichtung betont wird, wirtschaftliche Ziele für die Aktionäre zu erreichen, unterstreicht die Erklärung ihre potenziellen ethischen Komplikationen.

In der Erklärung zum Unternehmenszweck 2019 werden die Werte der Stakeholder-Theorie vertreten. In dem Dokument heißt es, dass die Unternehmen “eine grundlegende Verpflichtung gegenüber allen [ihren] Stakeholdern haben”, und das Wort “alle” wird zur zusätzlichen Betonung sogar unterstrichen (BRT, 2019, 1). Es wird auch darauf hingewiesen, dass jeder Stakeholder “wesentlich” ist und die Aktionäre nur die fünfte und letzte Position in der angebotenen Liste einnehmen – nach Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten und Gemeinschaften (BRT, 2019, 1).

Dieser Ansatz steht in scharfem Gegensatz zu dem von 1997 und ist ein klares Beispiel für die normative Stakeholder-Theorie. Sie geht davon aus, dass alle an den Aktivitäten eines Unternehmens beteiligten Gruppen bemerkenswerte Interessen haben und dass es “keine prima facie Priorität einer Gruppe von Interessen und Vorteilen gegenüber einer anderen gibt” (Donaldson und Preston, 1995, 68). Die soziale Verantwortung eines Unternehmens besteht also nicht nur gegenüber seinen Aktionären, sondern gegenüber allen an den Geschäftsprozessen beteiligten Gruppen.

Beurteilt man beide Dokumente auf der Grundlage der zentralen Prämisse der normativen Perspektive – dass die Unternehmen soziale Verantwortung übernehmen sollten, weil es ethisch notwendig ist – wird man feststellen, dass die Erklärung von 1997 fehlt. Sie ist in einem technischen Sinne normativ, da sie die Verpflichtungen der Unternehmen gegenüber ihren Aktionären eher in ethischen als in rein praktischen Begriffen begründet. Allerdings wird in dem Dokument immer noch der Gewinn als oberstes Ziel genannt und ein höherer Aktienwert zum obersten Ziel erklärt.

Im Wesentlichen bedeutet dies, dass “Wertmaximierung zu einer … effizienten Lösung” in Bezug auf CSR führt, weshalb das Streben nach einem höheren Aktienwert theoretisch zu einem sozialen Nutzen für alle Beteiligten führen sollte (Jensen, 2002, 240). So wird in der Erklärung von 1997 zunächst ein rein finanzielles Ziel deklariert und diesem dann ein vermeintlicher gesellschaftlicher Nutzen zugeordnet. Infolgedessen ist der normative Charakter nicht inhärent, sondern den wirtschaftlichen Zielen untergeordnet – “erst der Gewinn und dann das Recht”.

Die Erklärung von 2019 hingegen scheint in der normativen Perspektive der CSR auf eine grundlegendere Weise verwurzelt zu sein. Sie beginnt unmittelbar mit der ethischen Prämisse, dass “die Amerikaner eine Wirtschaft” verdienen, die Chancen und Würde fördert, und leitet dann Grundsätze aus dieser ethischen Verpflichtung ab (BRT, 2019, 1). Auch wenn das Wort “Ethik” oder seine Ableitungen nur einmal im “fairen und ethischen Umgang mit [den] Lieferanten” vorkommen, zeigt der Gesamtcharakter des Dokuments eine klare Betonung des “Richtigen” und nicht nur des “Profitablen”.

Anders als in der Erklärung von 1997 wird in dem neuen Dokument der faire Umgang mit Mitarbeitern, Lieferanten, Kunden oder Gemeinden nicht als Nebeneffekt profitabler Geschäftspraktiken dargestellt. Vielmehr werden sie als die wichtigste Triebkraft für die Geschäftstätigkeit eines amerikanischen Unternehmens angesehen. Damit ist die neue Erklärung näher am Geist des normativen Ansatzes mit seiner Betonung des richtigen Handelns.

Man könnte einwenden, dass die Erklärung von 1997 keine ausschließliche Verpflichtung gegenüber den Aktionären darstellt, sondern auch die Interessen anderer Interessengruppen anerkennt. In der Tat wird in dem Dokument die Stakeholder-Theorie erwähnt und vorgeschlagen, dass die Manager die Interessen anderer Stakeholder als der Aktionäre nicht außer Acht lassen sollten (BRT, 1997, 3). In der Erklärung wird jedoch sofort klargestellt, dass “die Interessen anderer Stakeholder als Ableitung der Verpflichtung gegenüber den Aktionären relevant sind” (BRT, 1997, 3).

Diese Position steht in direktem Widerspruch zu einer der Grundprämissen der Stakeholder-Theorie: dass “die Interessen aller Stakeholder von intrinsischem Wert sind” (Donaldson und Preston, 1995, 67). Folglich bleibt die Anerkennung der Stakeholder-Theorie in dem Dokument eine reine Formsache. Alle grundlegenden Prämissen der Erklärung von 1997 sind nach wie vor fest in der Aktionärstheorie verwurzelt, weshalb sie als Lehrbuchbeispiel für diese Theorie in der Praxis dienen kann.

Reaktionen auf die Erklärung 2019

Der Artikel von Pistor mit dem Titel “Why America’s CEOs Have Turned Against Shareholders” ist ein interessantes Beispiel für die Kritik an der Erklärung von 2019. Der Autor geht davon aus, dass die Diskussion darüber, ob die Abkehr von der Shareholder-Theorie zur Stakeholder-Theorie stattgefunden hat, das größere Problem verdeckt: “Amerikas Unternehmensführer glauben, sie könnten frei entscheiden, wem sie dienen” (Pistor, 2019). Aus Pistors Sicht ist diese Situation grundlegend falsch, da die Unternehmensleiter als Vertreter der Anteilseigner des Unternehmens handeln sollten, anstatt ihre eigene Agenda nach Belieben zu wählen.

Wenn sie amerikanische CEOs dafür kritisiert, dass sie “jahrelang” zusammen mit den von ihnen ernannten Führungskräften im Vorstand bleiben, beruft sie sich auf die Corporate-Governance-Grundsätze (Pistor, 2019). Vor diesem Hintergrund kann man Pistors Kritik als Beispiel für die normative Shareholder-Theorie interpretieren, da die Autorin die in den Corporate-Governance-Grundsätzen verankerten ethischen Verpflichtungen der Manager betont.

Abgesehen davon kann man den Artikel von Pistor auch als eine sehr spezifische und eigentümliche Art der rechten Kritik an CSR interpretieren. Wie bereits erwähnt, ist der zentrale Punkt der Autorin, dass die Überzeugung der CEOs, dass “sie ihre eigenen Herren wählen können”, grundlegend falsch und inakzeptabel ist (Pistor, 2019). Die Entscheidung, von der Shareholder-Theorie zur Stakeholder-Theorie als Leitprinzip überzugehen, ist aus ihrer Sicht lediglich Ausdruck dieser negativen Entwicklung. Doch auch wenn dies nicht die Idee der Autorin ist, so läuft ihre Position doch darauf hinaus, dass die Unternehmen nicht ohne Rücksprache mit ihren Aktionären CSR betreiben sollten. In diesem Sinne ist Pistors Artikel dem rechten Flügel des kritischen Spektrums zuzuordnen, obwohl dies nicht das bestimmende Merkmal des Textes ist.

In dem Artikel “If Business Roundtable CEOs Are Serious about Reform, Here’s What They Should Do” zeigt Summers eine andere Herangehensweise an das Thema auf. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der Frage, wie die Unternehmen die proklamierten Veränderungen umsetzen sollten. Eines seiner Anliegen ist die Frage, “welche Rolle die Vereinigten Staaten als Stakeholder” in der in der Erklärung von 2019 anvisierten Unternehmenszukunft spielen sollen (Summers, 2019). Angesichts dieser Aufmerksamkeit für den Staat als Akteur sollte es nicht überraschen, dass Summers sich stark auf rechtliche Aspekte konzentriert.

Ihm zufolge sollten die CEOs nicht nur die Stakeholder-Theorie zu ihrem Leitprinzip erklären, sondern auch “auf Gesetze und Vorschriften drängen, die die Fähigkeit der Unternehmen unterstützen, sich für ihre Stakeholder einzusetzen” (Summers, 2019). Daher ist Summers’ Reaktion auf die Erklärung von 2019 ein klares Beispiel für die juristische Stakeholder-Theorie: Unternehmen sollten soziale Verantwortung übernehmen, soweit dies legal ist, und die Ausweitung dieser Verantwortung erfordert eine entsprechende Gesetzgebung.

Eine weitere Quelle, die die Erklärung 2019 untersucht und kritisiert, ist Olsons “Corporate Happy Talk and the Duty of Shareholder Loyalty”. In diesem Artikel weist der Autor darauf hin, dass die proklamierte Einhaltung der Interessen aller Stakeholder eine bloße Erklärung ist. Er betont, dass Corporate-Governance-Grundsätze, so gut gemeint und ausgefeilt sie auch sein mögen, keine Verpflichtungen sind, die jemand rechtlich einfordern kann.

Es ist das Gesellschaftsrecht, das “ein System von Rechten und entsprechenden Pflichten darstellt, das man vor Gericht einklagen kann”, und die verkündeten Pflichten außerhalb dieses Rahmens sind nicht wirklich verbindlich (Olson, 2019). Die Hauptsorge von Olson besteht also darin, dass das neue Dokument Verantwortlichkeiten außerhalb des rechtlichen Rahmens proklamiert, und dass die Verfolgung dieser Verantwortlichkeiten den rechtlich geschützten Interessen der Aktionäre schaden könnte. Daher vertritt der Artikel die Theorie des rechtlichen Aktionärs, indem er betont, dass die Unternehmen gesetzlich verpflichtet sind, den Interessen ihrer Aktionäre zu dienen.

Es gibt jedoch noch eine weitere Dimension in Olsons Interpretation der Erklärung von 2019. Sie zeigt sich, wenn der Autor die möglichen praktischen Auswirkungen der neuen selbst auferlegten und nicht rechtlichen Verpflichtungen der Unternehmen erörtert. Aus seiner Sicht besteht die wichtigste praktische Auswirkung der neuen Erklärung in der “Aushöhlung der gesetzlichen Loyalitätspflicht, die derzeit den Investoren geschuldet wird, die das Kapital einbringen” (Olson, 2019).

Er weist darauf hin, dass die Unternehmen die Interessen der Stakeholder, die ihre Aktien nicht besitzen, ausnutzen können, um Maßnahmen durchzuführen, die den Gesamtinteressen der Aktionäre schaden (Olson, 2019). Für den Autor ist die Annahme einer umfassenderen CSR kein zweifelhaftes Initiativmotiv, nur weil er informelle Verpflichtungen über die gesetzlichen stellt. Olsons Artikel kann auch als Beispiel für die Kritik des rechten Flügels an CSR dienen – dass Unternehmen keine soziale Verantwortung übernehmen sollten, die den Interessen der Aktionäre schadet.

Eine weitere Reaktion auf die Erklärung von 2019 ist schließlich Pitts “A Bunch of CEOs Want to Fix Capitalism. You Can’t Fix Anything Built on Slavery”. Der Autor erklärt es für höchst unwahrscheinlich, dass die Unternehmen Entscheidungen treffen werden, die nicht ihren wirtschaftlichen oder politischen Interessen dienen. Ihm zufolge ist es unvorstellbar, dass reiche und einflussreiche CEOs “Sand in das Getriebe eines Systems streuen, das ihnen so gut gedient hat” (Pitt, 2019).

Pitt zieht es vor, den jüngsten Wandel in der Unternehmensführung und der CSR nicht auf ethische Erwägungen zurückzuführen, sondern auf rein praktische Gründe, die in der Politik begründet sind. Er weist darauf hin, dass die neue Erklärung genau zu dem Zeitpunkt kommt, an dem die beiden demokratischen Spitzenkandidaten für die Präsidentschaft “das Brechen des Griffs der Unternehmens- und Aktionärsgier zu einer Zierde ihrer Kampagnen gemacht haben” (Pitt, 2019). Unter diesen politischen Umständen ist es für die CEOs großer Unternehmen von Vorteil, eine eigene Initiative zu ergreifen, um als verantwortungsbewusste Bürger aufzutreten und positive PR zu erhalten. Somit verkörpert Pitts Artikel die linke Kritik an CSR: Unternehmen werden nur dann soziale Verantwortung übernehmen, wenn es profitabel oder eine gute PR ist.

Zitierte Werke

Der Business Roundtable. Erklärung zur Corporate Governance, 1997″. Europäisches Institut für Corporate Governance. Web.

-. “Erklärung über den Zweck einer Gesellschaft”. Business Roundtable. 2019. Web.

Donaldson, Thomas, und Preston, Lee. E. “The Stakeholder Theory of the Corporation: Concepts, Evidence, and Implications”. The Academy of Management Review, Bd. 20, Nr. 1, 1995, S. 65-91.

Hasnas, John. “Die normativen Theorien der Wirtschaftsethik: A Guide for the Perplexed”. Business Ethics Quarterly, Bd. 8, Nr. 1, 1998, S. 19-42.

Jensen, Michael C. “Wertmaximierung, Stakeholder-Theorie und die Unternehmenszielfunktion”. Business Ethics Quarterly, Bd. 12, Nr. 2, 2002, S. 235-256.

Olson, Walter. “Corporate Happy Talk and the Duty of Shareholder Loyalty”. Cato Institute. 2019. Web.

Pistor, Katharina. “Warum sich Amerikas CEOs gegen die Aktionäre gewandt haben”. Project Syndicate. 2019. Web.

Pitt, William Rivers. “A Bunch of CEOs Want to Fix Capitalism. You Can’t Fix Anything Built on Slavery.” Truthout. 2019. Web.

Stout, Lynn A. “The Problem of Corporate Purpose”. Issues in Governance Studies, Bd. 48, 2012, S. 1-14.

Summers, Lawrence H. “Wenn es den CEOs des Business Roundtable mit der Reform ernst ist, sollten sie Folgendes tun”. Larry Summers. 2019. Web.