Einführung
Billy Collins reflektiert in dem Gedicht “Budapest” seinen Schreibprozess aus der Sicht seiner Schreibhand. Er stellt sie als ein unabhängiges Wesen dar, das nur damit beschäftigt ist, sich über das Papier zu bewegen, als sei es auf der Suche nach Nahrung. Die Hand will nur weiter existieren und mehr schreiben, was den kreativen Antrieb des Autors darstellt. Der Dichter selbst hingegen beobachtet sie und lässt seine Phantasie wandern, indem er Orte erschafft, an denen er noch nie gewesen ist. Es wird angedeutet, dass die beiden Gedankengänge nicht miteinander verbunden sind, und dass die Gedanken der Hand nicht mit denen des Kopfes übereinstimmen. Das Gedicht veranschaulicht Billys kreativen Prozess als etwas, das automatisch abläuft, auch wenn er abgelenkt sein mag.
Erste Strophe
Das Gedicht beginnt mit der Herstellung der Analogie zwischen der Hand des Dichters und einem Tier. Die Feder und der Arm sind in der Beschreibung enthalten, daher die Erwähnung der Schnauze und der Kleidung. Der Anfang lautet: “Mein Stift bewegt sich auf dem Blatt / wie die Schnauze eines seltsamen Tieres / geformt wie ein menschlicher Arm / und gekleidet in den Ärmel eines lockeren grünen Pullovers.” Die Wahl der Kleidung deutet darauf hin, dass Billy sich in einer entspannten häuslichen Umgebung befindet, in der er sich eine angenehme Atmosphäre schaffen kann, bevor er mit der Arbeit an seinen Gedichten beginnt. Er lässt seine Phantasie schweifen, und die Abstraktion, den Stift als Schnauze eines Tieres zu sehen, ist ein mögliches Ergebnis dieses Zustands.
Zweite Strophe
Die nächste Zeile setzt die Analogie fort, erweitert sie und entfernt sich weiter vom Thema des Schreibens und der Poesie. Der Dichter versucht, Gründe zu finden, warum dieses seltsame Tier auf seiner Tischplatte herumschnüffeln würde. Das Ergebnis ist: “Ich beobachte es, wie es unablässig an dem Papier schnüffelt, / zielstrebig wie ein Sammler, der nichts / im Kopf hat als die Larven und Insekten, / die ihm ein weiteres Leben ermöglichen.” Diese Zeilen können zwar als direkte Analogie dazu gesehen werden, wie Tiere in der Wildnis ständig nach Nahrung suchen müssen, um zu überleben, sie stehen aber auch für den kreativen Antrieb des Dichters. Der Instinkt treibt ihn zum Schreiben, und selbst wenn er an nichts Bestimmtes denkt, hält die Feder seinen Geisteszustand fest.
Dritte Strophe
Diese Ansicht wird in der dritten Strophe bekräftigt, in der der Dichter die Wünsche und Ziele seines Arms darlegt. In der Tat sieht er das Schreiben als seine Pflicht an und möchte dies auch in Zukunft tun. So heißt es in den Zeilen: “Er will morgen nur noch hier sein, / gekleidet vielleicht in den Ärmel eines karierten Hemdes, / die Nase an die Seite gepresst, / noch ein paar pflichtbewusste Zeilen schreiben.” Billys Interessen sind getrennt: Der Kopf mag träumen und vom Thema abschweifen, aber sein Arm verlangt ständig nach etwas, das er aufschreiben kann. Er zwingt ihn, sich jeden Tag hinzusetzen und ein paar Zeilen zu schreiben, die dann vielleicht in ein fertiges Kunstwerk einfließen.
Vierte Strophe
Die vierte und letzte Strophe weicht vom Thema des Arms ab, um zu verdeutlichen, dass seine Ziele von denen des Erzählers unabhängig sind. Seine Phantasie beschwört müßig Bilder herauf, möglicherweise als Inspirationsquelle, aber eher als Ablenkung. So heißt es in der Strophe: “während ich aus dem Fenster schaue / und mir Budapest vorstelle / oder eine andere Stadt / in der ich noch nie gewesen bin.” Trotz seiner Aufnahme in den Titel des Gedichts ist Budapest symbolisch, ein schöner Ort mit einer reichen Geschichte, an den Billy vielleicht gerne reisen würde. Der Ort muss jedoch nicht unbedingt Budapest sein, jede schöne Szene würde genügen. Billy denkt untätig über verschiedene Ideen nach, wobei Einzelheiten für seine Stimmung beim Schreiben kaum von Bedeutung sind.
Diskussion
Das Gedicht veranschaulicht einen Gedankenstrom durch Collins’ üblichen Stil der Beibehaltung einer erratischen, nicht gereimten Form. Diese Methode erweckt den Eindruck, dass das Werk entstand, als der Dichter sich in dem darin beschriebenen Geisteszustand befand und sich weniger um klassische Beschränkungen kümmerte als vielmehr daran interessiert war, die Gedanken zu Papier zu bringen. Insgesamt stellt das Gedicht die Vorstellungen des Lesers davon, wie Poesie und Kunst im Allgemeinen entstehen, in Frage. Collins muss sich nicht konzentrieren und fokussieren, um mit dem Schreiben zu beginnen, sondern wird von einer Leidenschaft angetrieben, die er als losgelösten Impuls darstellt. Alles kann ihm als Thema dienen, selbst abgelenkte Überlegungen über die Betrachtung des eigenen Arms als Tier oder Gedanken über ferne und unbekannte Orte.
Schlussfolgerung
Billy Collins’ “Budapest” ist eine Darstellung seines kreativen Prozesses und der daran beteiligten Kräfte. Anstatt zu versuchen, sich zu konzentrieren und das Schreiben als Arbeit zu betrachten, die erledigt werden muss, erlaubt sich der Dichter, sich zu Hause zu entspannen. Er betrachtet untätig das Papier, blickt aus dem Fenster und denkt an das, was ihm gerade in den Sinn kommt. Das Schreiben geschieht selbstständig, indem er seinen Gedankenstrom und die daraus resultierenden unvollständigen Werke niederschreibt. Diese Methode verleiht Collins’ Gedichten wahrscheinlich ihren charakteristischen sprunghaften Stil, da es ihm mehr um den Ausdruck als um die Einhaltung von Stilnormen geht. Letztlich spricht das Gedicht dafür, Poesie als Kunst zu betrachten, als etwas, das mehr durch Inspiration und Ideen als durch harte Arbeit angetrieben wird.