Das Gleichnis der Blinden, auch bekannt als The Blind Leading the Blind, ist ein weiteres realistisches Gemälde des niederländischen Künstlers Pieter Bruegel, das ein beliebtes biblisches Motiv darstellt. Das Gemälde zeigt eine Prozession von sechs blinden und behinderten Männern. Heute weiß man, dass jeder der Männer ein anderes Augenleiden hat, das sein Sehvermögen beeinträchtigt, darunter ein Hornhautleukom, eine Atrophie des Augapfels und entfernte Augen. Mit einer meisterhaften Anwendung der Verkleinerung zeigt Briegel den ersten Mann, den Anführer. Man sieht ihn, wie er von der Brücke stürzt und die anderen zum gleichen Schicksal verurteilt. Die Wahl des künstlerischen Mediums für das aktuelle Werk ist recht merkwürdig. Das Gleichnis der Blinden ist eines der wenigen erhaltenen Leimfarbengemälde von Bruegel. Die vom Künstler verwendete Farbe wird Tüchlein genannt: Sie besteht aus Tempera, die mit wasserlöslichem Leim vermischt ist, wodurch ein Lichteffekt entsteht.
Das Werk basiert auf dem biblischen Gleichnis, das in ähnlichen Geschichten in den Evangelien Matthäus, Lukas und Thomas vorkommt. So heißt es beispielsweise bei Matthäus: “Wenn ein Blinder einen Blinden führt, werden beide in eine Grube fallen”, was genau das ist, was auf dem Gemälde geschieht. Das Gleichnis der Blinden weist viele Merkmale der Renaissance-Bewegung in der Kunst auf. Zuvor galten die Blinden als begabte, von göttlicher Gnade berührte Individuen: Aus Respekt vor ihnen wurden sie mit geschlossenen Augen gemalt (Honig, 2019). Bruegel setzt sich über diesen Kanon hinweg, indem er die Männer in der Prozession als unansehnlich und altersschwach mit deutlichen Anzeichen einer Augenkrankheit zeigt. Man kann mit Sicherheit sagen, dass Bruegel aktiv einen Realismus auf Kosten des religiösen Glaubens verfolgt, was eine logische Folge des Niedergangs der katholischen Kirche in Europa war.
Referenzen
Honig, E. A. (2019). Pieter Bruegel und die Idee der menschlichen Natur. Reaktion Books.